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Privilege
Yvonne Rainer, 1990

JENNY: Erwarte nicht von mir, dass ich das richtig hinkriege. Es hat mich schon meinen ganzen Mut gekostet, dir diese Geschichte ungefiltert zu erzählen. Jetzt hab ich Angst vor dir, wie noch nie zuvor.
YVONNE W.: Ich erwarte gar nicht von dir, dass du es „richtig hinkriegst“. Wahrscheinlich will ich bloß, dass du dich mal in meine Lage versetzt, damit ich nicht immer alles erklären muss. Ich würde genau so gern wie du Rassismus einfach vergessen. Der Unterschied liegt darin, dass du das kannst…, und ich nicht.

CARLOS: Sie zeigt große Neugier für meine sexuellen Talente. Sie stellt sich gern vor, wie das Vögeln unter den Schwarzen und Latinos hier in diesem Block vor sich geht. Sie stellt sich vor, wir sind lockerer und weniger verklemmt, weil wir aus den feuchten Tropen kommen. Aber das Schräge ist, dass sie es war, die ihre Jalousien nie heruntergelassen hat und ohne Kleider herumgelaufen ist. […] Wenn du mich anschaust, siehst du einen schwarzen Kontinent, etwas Unbekanntes, Erregendes, Furchteinflößendes, Exotisches, Anderes.

CARLOS: Wie ein Engel der Liebe, ja? Sie ist meine Freiheit und meine Fessel. Für mich verboten. Auch ihr Wohnhaus – für mich verboten. Gleich nebenan, aber ich kann dort nicht wohnen. Es könnte genauso gut Sutton Place sein. […] Die vermischte Welt aus Weiß, Schwarz und anderen Farbtönen in Puerto Rico ist den Menschen in den USA fremd. In Puerto Rico wohnen Menschen mit vielen Hautfarben, und diese Farben werden nicht mit unterschiedlichen Rangstufen verbunden. Mein Freund Stew hat mich immer aufgezogen:
STEW: „Du beschissener gelb-gesichtiger Hurensohn! Du gottverdammter Neger, den es wohl reizt, sich als Weißer auszugeben! Du meinst wohl, weil du Puertoricaner bist, wird dir hier ’ne Extrawurst gebraten? Das ist eben das verdammte Problem, dass zu viele von euch schwarzen Puertoricanern mit geschlossenen Augen herumrennen. Es gibt schon viel zu viele gottverdammte Neger auf dieser gottverdammten Welt, die das auch glauben, genau wie ihr. Bloß weil ihr ein bisschen ’ne andere Sprache faseln könnt, das ändert eure Hautfarbe kein bisschen. Was denkt ihr denn bloß alle? Dass die einzigen Nigger auf der Welt in diesem beschissenen Land leben? Die gibt’s überall auf der gottverdammten Welt. Mann, selbst wenn es Schwarze oben auf dem Mond gibt, die in der Mondsprache daherlabern, so sind ’se immer noch Neger! Kapiert? Neger!“

CARLOS: […] In der weißen Welt stößt der Schwarze [1] auf Schwierigkeiten bei der Herausbildung seines Körperschemas. Die Erkenntnis des Körpers ist eine rein negierende Tätigkeit. Eine Erkenntnis in der dritten Person, […] geliefert durch den Anderen, den Weißen, der mich aus tausend Details, Anekdoten, Erzählungen gesponnen hatte. […] „Sieh mal, ein Neger!“ Das war ein äußerlicher Reiz, der mir im Vorbeigehen unter die Nase gerieben wurde. Ich deutete ein Lächeln an. […] „Mama, schau doch, der Neger da, ich hab’ Angst!“ […] Ich ging auf den Anderen zu…, und der Andere verflüchtigte sich, feindselig, aber nicht opak, transparent, abwesend. […] Ich war verantwortlich für meinen Körper, auch verantwortlich für meine Rasse, [2] meine Vorfahren. Ich maß mich mit objektivem Blick, ich entdeckte meine Schwärze, meine ethnischen Merkmale – und Wörter zerrissen mir das Trommelfell: Kannibalismus, geistige Zurückgebliebenheit, Fetischismus, Rassenmakel, Sklavenschiffe, und […] vor allem das rassistische Stereotyp: „Y a bon Banania“. [3] […]

DIGNA: Wieso ich und nicht Carlos? Wieso wurde ich zusammengeschlagen und wieso sitze ich hier drin? […] Ob die Art, wie ich meine Augenbrauen zupfe, die Männer unweigerlich dazu bringt, mich zu schlagen?

DIGNA: Heute hat man Religion und moralische Prinzipien durch Thorazin ersetzt, um den Verstand der Frau, insbesondere den Verstand der lateinamerikanischen Frau zu kontrollieren. Sagen Sie mir, warum sind die puertoricanischen Frauen in diesem Land so viel anfälliger für Geisteskrankheiten als die Gesamtbevölkerung? Warum können wir uns hier nicht entfalten? Die Psychiater haben unterschiedliche Bezeichnungen für unseren Zustand. Die meisten von euch würden als manisch-depressiv abgestempelt werden. Mich nennen sie schizophren.

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Privilege von Yvonne Rainer, 16 mm, Farbe und Schwarz-Weiß, 103 Min., 1990. Zitiert nach: Kunstverein München / Synema (Hg.), Yvonne Rainer. Talking Pictures, Passagen: Wien 1994. Übersetzung von Tom Appleton. Die Leerzeilen zwischen den gewählten Passagen markieren größere Auslassungen. Zitate (mit Korrekturen) auf Seite 323, 314, 303, 316ff, 306, 301f. Die von Yvonne Rainer zitierte Passage aus Frantz Fanons Peau noire, masques blancs, Éditions du Seuil: Paris 1952, ist der (minimal korrigierten) deutschen Übersetzung von Eva Moldenhauer entnommen: Schwarze Haut, weiße Masken, Suhrkamp: Frankfurt/M 1985.
© Yvonne Rainer 1990 (Film) & 1999 (Skript)
Der Film findet sich auf: http://boystown.tumblr.com/pos...

Anmerkungen der Redaktion

1) Yvonne Rainer lässt Carlos aus der englischen Übersetzung von Frantz Fanons Buch Peau noire, masques blancs (Paris 1952): Black Skin. White Masks (New York 1967) zitieren. Dort steht an der Stelle „the man of color“ und im französischen Original: „l’homme de couleur“. In der deutschen Fanon-Übersetzung Schwarze Haut, weiße Masken (Frankfurt/M 1985) von Eva Moldenhauer und der Rainer-Übersetzung von Tom Appleton (Wien 1994) wird dies zu “der Farbige” – ein abwertender Begriff mit kolonialen und rassistischen Konnotationen. Wir verwenden daher stattdessen den Begriff “Schwarz” mit großem Anfangsbuchstaben als Synonym zu “People of Color”. Der Begriff dient rassistisch Diskriminierten im deutschsprachigen Raum zunehmend als politische Selbstbezeichnung, da er auf mögliche Bündnisse zwischen allen rassisierten Menschen mit afrikanischen, asiatischen, lateinamerikanischen, arabischen, jüdischen, indigenen oder pazifischen Hintergründen verweist. Siehe dazu: Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar (Hg.), re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland, Münster 2007, S. 12f.

2) Frantz Fanon verwendet im Französischen den Begriff „race“ was auch hier wieder entsprechend eindeutig ins Deutsche übersetzt wurde. Obwohl ,Rasse‘ als biologische Realität nicht existiert, ist sie als soziales, politisches und kulturelles Konstrukt enorm wirkmächtig. Im Deutschen wird der Begriff ,Rasse‘ aufgrund des nationalsozialistischen Bedeutungszusammenhanges generell vermieden. Eine solche Auslassung löst jedoch das Problem nicht. Einerseits lassen sich die kolonialen Wurzeln des ,Rasse‘konzeptes nicht mehr greifen, was eine historisch fundierte Analyse heutiger Rassismen erschwert. Andererseits wird es verunmöglicht, jenen gesellschaftlichen Positionen, Identitäten und Denkansätzen angemessen Rechnung zu tragen, die im Widerstand gegen ,rassische‘ Strukturen und Zuschreibungen entwickelt worden sind.

3) Das im Original (von Frantz Fanon und später: von Yvonne Rainer) genannte rassistische Stereotyp wird hier nicht weiter übersetzt. Wir folgen damit neueren antirassistischen Theorien und Praxen, die einleuchtend gezeigt haben, dass eine Übersetzung der konkreten rassistischen Stereotype auch deren Wiederholung und Fortsetzung bedeutet.